Liebes Archiv … Einträge vom Febuar 2008

In der Kartause von Pavia.


Natürlich fällt dem gemeinen Mitglied des Bildungsbürgertums da gleich Stendhal ein, naheliegend, aber ziemlich falsch. Das Kartäuserkloster neun Kilometer nördlich Pavias, einst durch einen Garten mit dem Castello verbunden, existiert wirklich, während das andere wohl nur Fiktion ist.
Die Sonne steht schon recht tief, als wir dem Nebel um Vercelli entkommen und sich etwas blauer Himmel zeigt. In der Kirche Madonna della Grazie mit der aufwendigen Marmorfassade spielen die Sonnenstrahlen mit den Staubpartikeln - oder die Lichtwellen bringen die Weihrauchmoleküle zum Schwingen? Man weiß es nicht. Jedenfalls werden wir schon bald rausgeworfen, den domähnlichen Altar und das weißmarmorne Grabmal des Dunklen Ludwig und seiner Frau können wir noch abhaken, das Flanieren im Kreuzgang wird ziemlich kurz. Die Sonne scheint nun rotgolden durch die Pforte, einen Cappuccio noch und zurück nach Vercelli, wo die Nebelbrühe sich bis in die Nacht hält. Wir trösten uns mit dem Buffet in Vercellis neuem In-Restaurant im ausgebauten Pferdestall, draußen im alten Industriegebiet hinter dem Bahnhof.

[] Certosa di Pavia / Sonntag, 24. Februar 2008

Neues vom Matterhorn.


Trotz der Riesengondel zum Plateau Rosa auf dreitausendvierhundertachtig Metern, die mit einem Mal hundertvierzig Leute auskotzt, zerstreute sich alles recht schnell. Es war Samstag, der erste Tag des Schiwochenendes in größerer Runde. Und dann lag ich auf dem Steiß. Keine Ahnung wo der Kerl so plötzlich herkam, mit dem ich mich spontan verknotete, besonders er war darüber nicht glücklich. Mal di testa jammerte er und rieb sich den Kopf mit den verfilzten Haaren, wenn seine Freundin besorgt fragte, was ihm fehlte. Vorher noch gemütlich mit Kippe und Kopfhörern über die Piste und jetzt mit Aua im Schnee.
Ich wartete auf Normalisierung der Situation. Tja, irgendwem muß es ja passieren, warum nicht mir (und ihm)! Wir entwirrten unsere Beine. Er verfluchte mich zweisprachig und fleißig, ihm schienen keine schweren Schäden entstanden zu sein. Seine Freundin entrang mir meine Telefonnummer, ich klopfte mir nach einigen Minuten hilfloser Lethargie den Schnee aus den Klamotten und stellte mich mit weichen Knien wieder auf die Bretter.
Vorsichtig und von seinen schlechten Wünschen begleitet setzte ich die Abfahrt fort, gerade war es noch ganz gut gegangen mit dem Wedeln da oben unter blauem Himmel mit stetigem Blick aufs Matterhorn. Schöne Pisten und immer öfter das Gefühl, die zwei Bretter im Griff zu haben. Halbzeitpausen auf den Terrassen der Pistenrestaurants. Erst am Abend erinnerte mich ein stechender Schmerz am Ende der Wirbelsäule an die Tränen in Mamas Augen, nachdem sie in Sorge um mich die Treppe heruntergestürzt war und sich das Steißbein gebrochen hatte. Langwierige Sache. Treppensteigen tut weh. Aua.

[] Cervinia / Sonntag, 17. Februar 2008

Konfetti mit Vitamin C gibt Kopfschmerzen.


Zurück in Ivrea (wir erinnern uns), zur richtigen Zeit, Sonntagnachmittag, mitten in der fünften Jahreszeit. Die Häuser an der Piazza della Città waren bereits mit grünen Netzen verhängt, die reifen Südfrüchte in Kisten am Rand aufgereiht. Die Pferde und die goldene Kutsche warteten vor dem Rathaus darauf, daß es endlich vierzehnuhrfuffzehn wurde an diesem Karnevalssonntag. Die Mitglieder der neun Vereine der Umstürzler, erkennbar an der jeweiligen Kostümierung und dem Wappen, trieben sich herum in gespannter Erwartung, den Obrigkeitsgetreuen Saures zu geben. In den Gassen grölten Letztere von ihren bunten Wagen, die Pferde wurden unruhig. Je näher die wilde Stunde rückte, desto mehr Zuschauer und Hobbyknipser verkrochen sich hinter den Schutznetzen.
Nun ritten die Edlen auf den Platz. Eskortiert von der Garde empfahl sich der General und in kleiner historischer Ungenaugkeit folgte ihm die Müllerstochter in ihrer goldenen Kutsche, Blumen und Kamelle verstreuend, damit war die Piazza frei zur Schlacht.
Nun preschte der erste Wagen auf den Platz, non toccare, non toccare! rief der Ordner durch die Flüstertüte, um die ersten Werfer zu beruhigen, der Wagen drehte eine Ehrenrunde und wir zwängten uns an den Rand des Platzes, Kameras im Anschlag, der Krieg konnte bald ausbrechen. Die Startfreigabe für den zweiten Wagen ward erteilt, die Pferde zerrten am Geschirr und der Platz war kaum erreicht, da trommelten schon die Salven. Von unten feuerte das wagemutige Fußvolk barhäuptig steil nach oben auf die behelmten Köpfe der Werfer auf den Wagen, die beidhändig austeilten. Die Vitamine spritzten nur so nach allen Seiten, die Kutscher klammerten sich aneinander und versuchten die Kontrolle zu behalten. Querschläger zischten in die Menge und trafen jeden der nicht auf der Hut oder versteckt hinter den Netzen war. Die Geschosse prallten von den Netzen ab und trafen auch unverhofft von hinten, aua.
Es waren immer zwei Wagen auf dem Platz, gejagt vom kriegerischen Fußvolk, das sich aus den Kisten am Rande des Platzes mit frischen Wurfgeschossen eindeckte. Kaum war ein Wagen in der Gasse verschwunden, kam der nächste, die Bälle pfiffen durch die Luft, ich bekam meinen ersten Kopfschuß, sauer macht lustig, wer nicht seine volle Aufmerksamkeit aufbrachte, abwehrte oder sich wegduckte, wurde Zielscheibe der verirrten Dinger, das konnte verdammt schmerzhaft sein.
Die Zeit verging wie im Fluge, zwei Stunden und etwa fünf kapitale Treffer später ließen die Kräfte aller allmählich nach, saftgetränkt mit blutrot überströmten, erhitzten Köpfen stapften die Revoluzzer durch den braunen Matsch, der den Platz nun bedeckte. Wir brauchten nun einen Glühwein oder zwei, Vin Bruleè heißt das hier. Nun ließen sich auch der Herr General und die schöne Müllerin wieder blicken, meine Speicherkarte war voller Fotos und das feuchte Wetter trieb uns zurück, um die matschigen Fleischreste aus Haaren und Klamotten zu waschen. Ivrea helau!

[] Ivrea / Sonntag, 03. Februar 2008

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.